Prof. Dr. Claus Tiedemann

Universität Hamburg
Institut für "Bewegungswissenschaft";
ehem. Fachbereich "Sportwissenschaft"
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"Kunst" - Vorschlag einer Definition

aktualisiert: 19. Mai 2021
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"Kunst" definieren - warum und wie?
defining "art(s)" - why and how?

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Grenzen und Nutzen dieser Definition
limits and benefits of this definition


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Erläuterung der Definitions-Elemente
explanation of the elements of the definition

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ausgewählte Literatur
selected literature





Kunst ist ein kulturelles Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich aufgrund ihrer Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ernsthaft bemühen, ihre Gefühle und Gedanken durch ein selbst geschaffenes Werk oder durch eine Handlung auszudrücken. Besteht der Ausdruck in einem Werk (Gegenstand, Gebilde), das nach seiner Vollendung auch andere Menschen sinnlich wahrnehmen können, wird dieses Tätigkeitsfeld "bildende" Kunst genannt; besteht der Ausdruck in einer Handlung, ist er also an die leibliche Präsenz des Künstlers gebunden, wird es "darstellende" Kunst genannt.

Art is a cultural field of activity in which people, on the basis of their talents, abilities and skills, make a serious effort to express their feelings and thoughts through either a work they have created themselves or through a performance. If the expression consists in a work (object, structure) which, after its completion, can be perceived by other people, this field of activity is called „fine (or visual) art“; if the expression consists in a performance, i.e. if it is bound to the physical presence of the artist, it is called „performing art“.

L'art est un domaine d'activité culturelle, dans lequel des hommes sérieusement s'efforcent d'exprimer leurs émotions et leurs pensées par une création de leurs propres mains ou par une action, au moyen de leurs talents, leurs capacités et leurs compétences. Si l'expression prend la forme d'un objet (œuvre) perceptible par un public après son achèvement, on parle de "beaux arts"; si l'expression prend la forme d'une action nécessitant la présence physique de l'artiste, on parle d'"art d'interprétation".


Diese Kunst-Definition ist ein Vorschlag, den ich im Mai 2005 erstmals ins Internet gestellt (und inzwischen schon mehrfach leicht verändert) habe. Er ist meines Wissens so noch nicht zur Diskussion gestellt worden. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Literatur bereite ich vor. Einen Essay zu "Sport und Kunst" habe ich im September 2007 beim XII. Internationalen CESH-Kongress in Lorient (Frankreich) als "keynote" vorgetragen (in englischer Fassung). Ebenfalls auf Englisch habe ich 2016 einen Vortrag über „Works of Fine Arts as Sources for Sport-Historical Research“ gehalten.

Im Folgenden begründe ich - nach einer Vorbemerkung zum Wortfeld von "Kunst" - erstens, warum und wie ich "Kunst" definiere, zweitens erörtere ich Grenzen und Nutzen meines Definitionsvorschlags, und drittens erläutere ich die einzelnen Elemente meiner Definition; schließlich füge ich eine kurze Liste ausgewählter Literatur an.

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0. Vorbemerkung zum Wortfeld von "Kunst"

Im Folgenden beschäftige ich mich nur mit einem Teilbereich dessen, was in der deutschen Sprache auch als "Kunst" bezeichnet wird; dieser Bereich, den ich oben schon definiert habe und im Folgenden noch erläutern werde, kann in Kürze wohl am besten als Summe von bildender und darstellender Kunst (siehe Satz 2 meiner Definition) - in der Tradition der "schönen Künste" - gekennzeichnet werden; das nur für diesen Bereich geltende Adjektiv ist "künstlerisch", daneben aber auch "kunstvoll" (siehe übernächste Bemerkung).

Das Bedeutungsfeld des deutschen Wortes "Kunst" ist auch heute noch weit. Ursprünglich bedeutete es ganz allgemein ein "Wissen (um etwas)" oder eine "Kenntnis (von etwas)", ein "Vermögen (, etwas zu tun)" oder "Können". Ich kennzeichne jetzt zwei Bereiche des Wortfeldes "Kunst", mit denen ich mich im Folgenden nicht beschäftige:

"Kunst" bezeichnet auch eine hoch entwickelte und (meist) geschätzte Fähigkeit, ein Können allgemein; beispielsweise: "die Kunst der freien Rede" oder "Heilkunst" oder "Bewegungskunst". Dass "Kunst" von "Können" kommt, ist in diesem Wortfeld besonders deutlich und verbindet es mit dem von mir definierten Begriff von "Kunst". Hier spielen ästhetische Fragen eine geringere Rolle. Als Adjektiv entspricht diesem Wortfeld weitgehend "kunstvoll" (siehe vorletzten Absatz). Die "Künste" dieses Wortfelds stehen in der Tradition der "(septem) artes liberales", der "freien Künste". Die Grenzen zu dem von mir definierten "Kunst"-Begriff sind (zunächst) verschwommen.

"Kunst" bezeichnet auch etwas von Menschen Gemachtes - im Gegensatz zu "Natur"; beispielsweise: "Kunstseide" oder "Wasserkunst". Das Adjektiv "künstlich" wird heute fast nur noch in diesem Sinne benutzt; früher hatte es allerdings auch die Bedeutung von Können (vgl. den Kirchenliedvers "..., der künstlich und fein dich bereitet").

Am letzten Beispiel wird deutlich, dass die Bedeutungsfelder von Wörtern sich entwickeln. Gerade deshalb erscheint es mir nötig, klar festzustellen, in welcher Bedeutung wir hier und jetzt die Wörter gebrauchen (wollen), zumindest die wichtigen, zumindest im wissenschaftlichen Austausch.

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1. "Kunst" definieren - warum und wie?

Kunst zu definieren ist schwierig. Dies wird an vielen Beiträgen zur Definitions-Problematik deutlich. Viele Autoren der Kunstwissenschaft (unter anderem Ernst Gombrich) gehen sogar davon aus, dass eine Definition von "Kunst" gar nicht sinnvoll, nützlich sei. Manche Autoren (unter anderem Christian Demand) halten die geistige Anstrengung, "Kunst" zu definieren, zwar für sinnvoll, ja, nötig, bieten aber selbst keine Definition von "Kunst" an.

Grundsätzlich muss jeder Wissenschaftler einen möglichst klaren Begriff von den zentralen Gegenständen seiner Wissenschaft haben. Die Vorstellung, ein Physiker hätte keinen genauen Begriff von Physik, ein Jurist keinen von Recht usw., dürfte allen Menschen merkwürdig erscheinen. Genau dies wird aber von vielen Kunstwissenschaftlern für normal bzw. sogar normativ erklärt. Nun bin ich in erster Linie kein Kunstwissenschaftler, sondern Sportwissenschaftler, aber einerseits verstehe ich mich allgemeiner als Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler, und andererseits begegne ich in der Sport-Wissenschaft einer ähnlichen Situation: Auch dort herrschen derselbe Mangel an einem klaren Begriff für den zentralen Gegenstand dieser Wissenschaft sowie die weit verbreitete Meinung, man könne "Sport" nicht definieren und brauche es deshalb gar nicht erst zu versuchen. Ich habe diesem Mangel mit einem eigenen Definitionsvorschlag für "Sport" abzuhelfen versucht.

Als ich mich mit dem Thema "Bewegungskultur und Sport in der bildenden Kunst" beschäftigte, stellte ich fest, dass in der Kunstwissenschaft (oder wie immer sie bezeichnet werden mag; Kunstgeschichte ist die traditionelle Bezeichnung, aber es geht in der Wissenschaft der "Kunst" nicht nur um Historisches!) eine der Sportwissenschaft sehr ähnliche Situation vorzufinden ist: Auch hier ist der zentrale Begriff dieser Wissenschaft so entgrenzt, dass unter "Kunst" alles Mögliche verstanden werden kann. Ähnlich wie in der Sportwissenschaft entstehen auf solche Weise eine völlige Beliebigkeit und Unklarheit im kunstwissenschaftlichen Diskurs.

Wer sich mit dieser Entwicklung (bzw. mit diesem Zustand) nicht abfinden mag, muss sich dem mühevollen Unterfangen stellen, den Begriff "Kunst" (als zentralen Gegenstand der Kunstwissenschaft) zu klären, seinen Umfang bzw. seine Grenzen zu bestimmen, und das heißt, "Kunst" zu definieren; und diese (Arbeits-) Definition muss öffentlich bekannt gegeben werden. Dies tue ich hiermit in der Hoffnung auf fördernde Resonanz aller derer, die sich um klare Begriffe in den Kulturwissenschaften bemühen.

Eine Definition soll die Bedeutung eines Begriffs bestimmen, festlegen, ein- bzw. abgrenzen. Zur Klarstellung gleich vorweg: Eine Definition als eine Vorschrift o.ä. zu begreifen, wäre ein Missverständnis. Jeder denkende Mensch bildet sich seine je eigene Meinung und benutzt Worte in seiner je eigenen Bedeutung. Dies sollte man aber nicht subjektivistisch oder konstruktivistisch übertreiben. Wir sind gesellschaftliche Wesen, auf Austausch und Verständigung mit anderen Menschen angelegt, in der Wissenschaft sowieso. Wenn wir uns aber mit anderen Menschen verständigen wollen, die ja einen eigenen Wortgebrauch haben, müssen wir unseren Wortgebrauch klären, zumindest auf Nachfrage klären können. Wissenschaftler müssen darüber hinaus von vornherein, ohne auf Nachfrage zu warten, zumindest ihre zentralen Begriffe klären. Wenn KunstwissenschaftlerInnen sich gegenseitig ungefragt mitteilen, was sie unter Kunst verstehen, dann tun sie nur das Notwendige; wenn sie es unterlassen, ist das ein schwerwiegendes Hindernis für die Verständigung. In diesem Sinne ist das Definieren eine notwendige Vorleistung für den wissenschaftlichen Austausch von Erkenntnissen und Meinungen.

Nun sind Definitionen bekanntlich nicht Instrumente, die in erster Linie die Wirklichkeit verändern sollten oder gar könnten; vielmehr soll hauptsächlich die vorgefundene (objektiv gegebene) Wirklichkeit in ihnen klar und trennscharf auf den Begriff gebracht werden. "In erster Linie", "hauptsächlich" - mit dieser Wortwahl habe ich schon angedeutet, dass in allen Worten, also auch (oder erst recht) in Definitionen, eine Vorstellung davon repräsentiert ist, wie die Wirklichkeit auch sein könnte. Ich verfolge mit meinen Worten (und damit auch Definitionen) einerseits kein nur objektivistisches Ideal (das sowieso nicht erreichbar ist). Andererseits verstehe ich meinen Wortgebrauch auch nicht als nur subjektivistisch oder konstruktivistisch. Dies bedeutet, dass ich die oben angedeutete Priorität akzeptiere, in der beides aufgehoben ist: Definitionen sollten so klar und trennscharf wie möglich die Wirklichkeit auf den Begriff bringen und zugleich in aller Feinheit zumindest andeuten, wie die Wirklichkeit auch sein könnte.

Man kann mehrere Arten des Definierens unterscheiden: Real- (oder Wesens-) Definition, Nominaldefinition, Feststellungsdefinition, ostentative und operationale Definition. Ich schlage - entsprechend einer auf Aristoteles zurückgehenden philosophischen Tradition - eine sogenannte Realdefinition vor. Sie soll das Wesen des Gegenstandes eines Begriffes festlegen durch Angabe der nächsthöheren Gattung (genus proximum) und des artbildenden Unterschiedes (differentia specifica). "Fehler" kann man bei einer regelrechten Definition auch machen, wenn sie z.B. zu eng oder zu weit ist, Widersprüche enthält, unklar formuliert ist, eine negative Formulierung oder gar das zu definierende Wort selbst enthält (vgl. Regenbogen, Arnim; Uwe Meyer (Hrsg.) (2013): Wörterbuch der philosophischen Begriffe, begründet von F. Kirchner und C. Michaelis, fortgesetzt von J. Hoffmeister, vollständig neu herausgegeben von A.R. und U.M. Hamburg: Felix Meiner 2013 (= Philosophische Bibliothek, Band 500), Stichwort "Definition". (Nach der analytischen Philosophie in der Tradition Rudolf Carnaps wäre für meine Definition eine Bezeichnung als "Begriffsexplikation" genauer; vgl. Cohnitz, Daniel: Wann ist eine Definition von 'Kunst' gut?; letzter Zugriff: 24.12.2020).

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Wenn man eine solche Definition erarbeiten will, wie sie in den meisten Wörterbüchern und Lexika geboten wird, muss man sich zunächst also Gedanken machen, zu welcher Gattung Kunst gehört, welche Begriffe auf derselben Ebene angesiedelt sind und welches die nächst(höher)e Gattung (Begriffsebene) ist. Den Begriff Apfel z.B. der Gattung Obst zuzuordnen, wärde einen Schritt zu weit gehen, weil Kernobst die nächsthöhere Gattung ist. Für mich ist die nächsthöhere Gattung für den Begriff "Kunst" "Tätigkeitsfeld". Kunst ist eines von vielen Tätigkeitsfeldern. Die Fülle von Tätigkeitsfeldern habe ich schon etwas eingeschränkt durch das Adjektiv "kulturell". Die Elemente meiner Definition erläutere ich ausführlicher weiter unten.

Im zweiten Schritt muss man den "artbildenden Unterschied" benennen, also das, was das (kulturelle) Tätigkeitsfeld Kunst von anderen (kulturellen) Tätigkeitsfeldern unterscheidet. Dies sollte so knapp und klar wie möglich formuliert werden mit Worten bzw. Begriffen, die möglichst allgemein verständlich sind. Aus der grundsätzlichen Notwendigkeit, dass die hierbei verwendeten Begriffe ja ihrerseits wieder definiert werden müssten, folgern einige Autoren, dass ein solches Vorgehen letztlich zirkulär sei, was einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Definitions-Regeln darstelle; daher könne bzw. müsse man solches gar nicht erst versuchen. Dieses Bedenken ist ebenso puristisch wie unfruchtbar. Meines Erachtens ist es sowohl hinreichend als auch notwendig, die in der Tat logisch denkbare Zirkularität als eine "Unschärfe" in Kauf zu nehmen, um praktisch einen großen Gewinn an begrifflicher Klarheit zu erwerben.

Klar ist, dass auch diese Definition subjektiv ist, das Ergebnis (m)einer Handlung und (m)einer Entscheidung. Diese Subjektivität ist unhintergehbar. Andere werden anders handeln und entscheiden. Wissenschaft besteht natürlich aus dem Auseinandersetzen mit anderen Subjekten, ihren Handlungen und Entscheidungen - mit dem Angebot, das eigene Handeln und Entscheiden nachvollziehbar zu begründen und damit nachprüfbar zu machen. Wenn Kunstwissenschaftler (ebenso wie viele zur Zeit maßgebliche Sportwissenschaftler) den Standpunkt vertreten, man könne "Kunst" nicht definieren, so verweigern sie sich dem, was (Kunst- und Sport-) Wissenschaft grundlegend ausmacht: mit geklärten Grundbegriffen kommunizieren; sie bleiben damit im unklaren Alltags-Sprachgebrauch.

Alle Elemente meiner Kunst-Definition sind notwendig, und nur gemeinsam sind sie hinreichend. Dies bedeutet, dass eine Tätigkeit schon dann nicht mehr zum Tätigkeitsfeld "Kunst" gehört, wenn auch nur eines der definierenden Elemente nicht gegeben ist. Dies ist eine Denkfigur, die klare Abgrenzung ermöglicht, und dies ist schließlich der Wort-Sinn des Definierens.

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2. Grenzen und Nutzen dieser Kunst-Definition

Mein Definitionsvorschlag unterscheidet sich vom alltags- und umgangssprachlichen "Kunst"-Begriff. Dies erscheint mir angesichts der grenzenlosen Beliebigkeit des Alltags- (und leider auch Wissenschafts-) Sprachgebrauchs sogar eher als Vorteil. Mein Vorschlag bietet eine sehr allgemeine sprachliche Kennzeichnung für das Besondere von "Kunst". Ich hoffe aber, mit diesen wenigen Worten das Wesentliche erfasst zu haben. Über die konkreten Bestimmungen zum Beispiel von "Begabungen" sowie "Fähigkeiten und Fertigkeiten" kann und muss gestritten werden - siehe dazu auch die Erläuterungen weiter unten!

Der größte und allgemeine Nutzen dieser Begriffsklärung entsteht für den kunstwissenschaftlichen Diskurs: Wenn Kunstwissenschaftler voneinander wissen, was sie jeweils unter "Kunst" verstehen, können sie - gerade bei verschiedenen Auffassungen! - miteinander reden in klarem Bewusstsein ihres je unterschiedlichen Gebrauchs des zentralen Begriffs ihrer Wissenschaft.

Über Fragen des Geschmacks, des Wohlgefallens oder der Ablehnung von Kunstwerken oder -darbietungen, kann nicht sinnvoll diskutiert oder gar gestritten werden. Diese subjektiven Geschmacksurteile werden unbewusst und blitzschnell gebildet und entziehen sich weitgehend der rationalen Kontrolle. De gustibus non est disputandum. Hier gibt es kein „richtig“ oder „falsch“, höchstens ein Bemühen um nachvollziehendes Verstehen. Dieses Feld habe ich deshalb bei diesen Überlegungen völlig außen vor gelassen.

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3. Erläuterung der einzelnen Elemente meiner "Kunst"-Definition

Zur Klärung für die hoffentlich einsetzende Diskussion meines Vorschlags erläutere ich im Folgenden kurz die einzelnen Elemente meiner "Kunst"-Definition:

"Tätigkeitsfeld": Dies ist der nächsthöhere Begriff, das "genus proximum". Dass der zu definierende Begriff "Kunst" als ein Tätigkeitsfeld bezeichnet wird, soll klären, dass es sich bei "Kunst" um einen abstrakten Sachverhalt handelt, nicht etwa um einen Gegenstand, Zustand o.ä. "Kunst" ist auch kein Begriff für eine Tätigkeit, sondern ein Ober-Begriff für viele Tätigkeiten. Tätigkeiten wie Steine-Behauen, Malen oder Singen, Tanzen usw. können auch Alltags-Tätigkeiten sein; dann gehören sie zum Tätigkeitsfeld Alltag. Meine kategoriale Zuordnung des Begriffs "Kunst" zu "Tätigkeitsfeld" grenzt diese Definition von vornherein klar ab von verbreiteten Zuordnungen von "Kunst" zu "Tätigkeit" oder gar zu "Gegenstand".

Dass die Handelnden Menschen (also z.B. nicht Tiere) sind, erscheint mir eigentlich selbstverständlich, muss aber wohl betont werden; es wird durch die folgende Erläuterung zu "kulturell" hoffentlich noch deutlicher. Denn in der Alltagssprache werden einigen Tieren Tätigkeiten wie Singen, Tanzen usw. zugeordnet, ohne dass jeweils klar ist, dass dies nur metaphorisch gemeint wäre. Von Primaten bemalte Leinwände wurden wohl auch von sogenannten Experten als Werke menschlicher Kunst betrachtet - kein Wunder angesichts sehr fragwürdiger Beurteilungsgrundsätze und -maßstäbe für "moderne" Kunst, könnte man ein wenig "schadenfroh" feststellen. Umso wichtiger ist begriffliche Klarheit, verbunden mit gut begründeten, kommunizier- und bestreitbaren Werturteilen (siehe dazu unten die Erläuterungen zu "Fähigkeiten und Fertigkeiten" sowie zu "bemühen"!).

Juristen, die traditionell großen Wert auf geklärte Begriffe legen, mussten sich schon in manchem Rechtsstreit mit der Frage beschäftigen, was denn "Kunst" sei, von der es im Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 3, (nur) heißt, sie sei frei. Da sich der Streit meistens an "Kunst"-Werken (!) entzündete, haben unsere höchsten Richter in ihrer Rechtsprechung - mangels klarer Vorgaben der Kunstwissenschaftler - einen Kunstbegriff geschaffen und definiert, der sich insbesondere auf Werke als "Kunst" (oder nicht) bezieht. Von solchem objektbezogenen (gegenständlichen) Kunstbegriff unterscheidet sich mein tätigkeitsorientierter, prozesssualer Kunstbegriff grundsätzlich. Während man entsprechend einem objektbezogenen Begriff von Kunst angesichts eines Kunstwerks fragen kann "ist das Kunst?", frage ich mit meinem prozessualen Begriff von Kunst angesichts eines Kunstwerks "ist das ein Kunstwerk?", also nach dem Ergebnis bzw. Produkt menschlicher künstlerischer Tätigkeit.

Der Kunstbegriff im Grundgesetz (Artikel 5, Absatz 3) scheint mir übrigens - zumindest implizit - mit "Tätigkeitsfeld" als Oberbegriff gemeint zu sein, wenn es heißt: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei." "Frei" (von Zensur oder anderer staatlicher Einflussnahme) sind die in diesem Zusammenhang aufgeführten Tätigkeitsfelder "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre" - und insoweit auch die in diesen Feldern tätigen Menschen. Ihren Werken - als Gegenständen - kann man nicht sinnvoll die Eigenschaft "frei" zuordnen. Wissenschaft, Forschung und Lehre als Gegenstand oder Werk zu verstehen, würde sicher niemandem einfallen - wieso aber Kunst?!

Diese kategoriale Unterscheidung habe ich in kunstwissenschaftlichen Betrachtungen nicht so gefunden; die von mir vorgeschlagene tätigkeitsorientierte, prozessuale Zuordnung des Kunst-Begriffs scheint neu zu sein; mir erscheint sie grundlegend und wichtig.

"kulturell": Auf der Grundlage der natürlichen Umstände und Bedingungen, die von den Menschen in immer weiterem Ausmaß auch verändert werden, entwickeln die Menschen ihre Lebensformen gesellschaftlich / kulturell. In der Stammesgeschichte des "homo" bedeutet die Fähigkeit zur (Selbst-) Reflexion einen entscheidenden Schritt zur Entwicklung von Kommunikation, Sprache und freiem, spielerischem Denken. Erst nach diesem Entwicklungsschritt kann man von "Kunst" (und anderen kulturellen Tätigkeitsfeldern wie "Sport") reden. Kultur ist die reflektierte, bewusste Gestaltung der eigenen Entwicklung, sowohl auf der Ebene der menschlichen Gattung als auch auf der des einzelnen Menschen.

"Begabungen": Menschen sind unterschiedlich begabt; sie haben - genetisch bedingt sowie erworben durch unterschiedliche Entwicklungs-Möglichkeiten in Kindheit und Jugend (oder noch später) - unterschiedliche Handlungs-Möglichkeiten in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, so auch im bildenden und darstellenden Bereich von Kunst. Der teils sehr komplexe und deshalb nur schwer begründ- und erklärbare Charakter von Begabungen legt insbesondere in der Kunst ein Denken in Begriffen wie "Genie" und "genial" nahe; dies kennzeichnet aber weniger den tätigen Künstler als vielmehr den starken Eindruck, den seine Werke oder Leistungen auf andere machen; zudem kann ein solches Denken die Bedeutung von Übung und Fleiß (siehe die nächste Erläuterung!) abwerten.

"Fähigkeiten und Fertigkeiten": Die unterschiedlich begabten Menschen entwickeln ihre Handlungs-Möglichkeiten teilweise auch selbst-tätig, überwiegend aber wohl unter Anleitung von Lehrern und Meistern. Fähigkeiten bezeichnen komplexere Handlungsmöglichkeiten; Fertigkeiten sind weniger komplexe, eher handwerkliche Handlungsmöglichkeiten; beide können durch Lernen und Üben erreicht und gesteigert werden, im Bereich von Kunst meist mit dem Ziel großer Könnerschaft oder Meisterschaft. Dieses Ziel erreichen die Künstler in individuell verschiedenem Grad, über den auch Außenstehende (das Publikum) urteilen (können) und oft sehr unterschiedlicher Meinung sind.

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"ernsthaft": Hiermit möchte ich andeuten, dass das Bemühen (siehe nächste Erläuterung!) auf höchstmögliche Perfektion zielt. Damit ist auch dieses Element graduierend, abstufend gemeint. Ein ("richtiger") Künstler möchte "ernst genommen" werden, weil er sich "ernsthaft" bemüht (hat). Es gibt allerdings auch Menschen, die sich aus Liebhaberei (im besten Wortsinn als Amateure, Dilettanten) im Tätigkeitsfeld Kunst tummeln, die sich aber, wenn sie ehrlich sind, nicht als "richtige" Künstler verstehen. Auch das "Publikum" prüft - zumindest innerlich - wohl stets, ob das jeweilige Kunstwerk bzw. die künstlerische Darbietung wirklich "ernst gemeint" sei - natürlich mit jeweils individuellem Ergebnis. Eine solche Einschätzung ist überwiegend intuitiv und damit einem rationalen Diskurs schwer zugänglich.

"bemühen": Hiermit ist ein ernsthaftes (siehe vorherige Erläuterung) Anstrengen gemeint, keineswegs bloßes Wollen (vgl. den Ausspruch: "Kunst kommt von Können; käme sie von Wollen, hieße sie Wulst"!). Bei manchen Menschen / Künstlern kann dieses Bemühen die Dimension existenzieller Notwendigkeit annehmen, für die sie zu großen persönlichen Opfern bereit sind. Maßstab ist für die Künstler sicher in erster Linie die eigene Vorstellung dessen, was sie wie ausdrücken wollen und können - abhängig von den objektiven Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie den eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten plus etwas Unwägbarem wie "Glück" oder "Kairos". Ein weiterer Maßstab für das ständige Bemühen der Künstler um Perfektionierung und Meisterschaft ist wohl auch das Vergleichen mit anderen Künstlern und ihren Werken bzw. Darbietungen.

Der Wille, etwas schaffen oder darstellen zu wollen, ist bei der Künstlerperson wohl eine grundlegende Voraussetzung für ihre Tätigkeit, reicht aber nicht hin. Das Bemühen soll zum bestmöglichen Ergebnis führen. Ernsthafte und ehrliche Künstler sind ihre schärfsten eigenen Kritiker und zielen im idealen Fall erst in zweiter Linie auf Beifall Anderer, nachdem sie selbst mit ihrem Werk bzw. ihrer Darbietung restlos zufrieden sind. Real, im oft nicht idealen Fall, müssen Künstler wohl Kompromisse eingehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten: Erfolg beim Publikum bringt Möglichkeiten für materiellen Gewinn.

Außenstehende (das Publikum) beurteilen das künstlerische Bemühen und sein Ergebnis (das Werk, die Darbietung) zunächst rein emotional: Es gefällt mir oder nicht, ich bin berührt oder nicht. Diese (je individuelle) Bewertung läuft unbewusst und meist in kürzester Zeit ab; sie entzieht sich einer rationalen Erklärung oder Vermittlung (dies drückt das viel zitierte "je ne sais quoi" aus: ich weiß nicht, was bzw. warum). Ich weiß zwar nicht, warum mich etwas emotional berührt, aber ich bin mir meist ziemlich schnell sicher, jedenfalls, wenn mir etwas sehr gefällt oder missfällt. Hierüber kann man nicht sinnvoll streiten.

Auf dieser spontanen emotionalen Grundlage kann sich bei intensiverer Beschäftigung mit einem Kunstwerk oder einer künstlerischen Darbietung ein in gewisser Weise auch von Kenntnis und Erfahrung bestimmtes differenziertes Geschmacksurteil entwickeln, das die zunächst binäre Gefühlsbewertung durchaus relativieren kann. Dieses Stadium des Urteilens ist rational vermittelbar und kommunizierbar; über solche Aspekte des Geschmacksurteils kann man mit Anderen durchaus streiten, da (ästhetische) Kenntnis und Erfahrung erworben und geübt - und gelehrt - werden können.

"Gefühle und Gedanken ausdrücken": Dies ist das Definitions-Element, das künstlerische Tätigkeit wesentlich vom bloßen Handwerk unterscheidet: Es geht in der Kunst nicht allein um die Herstellung eines Gebildes oder Gegenstands bzw. um eine (gekonnt) präsentierte Darbietung, sondern darüber hinaus und wesentlich darum, mit dem Werk oder der Handlung etwas auszudrücken, was - hoffentlich, aber durchaus nicht notwendig - von anderen Menschen geschätzt und "verstanden" wird. Das, was Menschen in der Kunst ausdrücken wollen, kann zwar von außen (durch Auftrag, Bezahlungsversprechen oder Ähnliches) angeregt sein, stammt aber im idealen Fall wesentlich aus ihnen selbst, aus ihrer Persönlichkeit, zu der sie sich in Verbindung mit ihrem natürlichen und insbesondere gesellschaftlich-kulturellen Umfeld entwickelt haben: es sind ihre Gefühle und / oder Gedanken, ihre Ängste oder Leidenschaften, ihre Träume oder Fantasien.

Das künstlerische Bemühen um Ausdruck ist eine emotionale Angelegenheit des Künstlers. Als Publikum hierüber zu streiten ist darum sinnlos. Man kann nur mit Einfühlung, Intuition (intueri, lat. = genau auf etwas hinschauen) versuchen, eine (eigene!) Ahnung dessen zu gewinnen, was der Künstler möglicherweise habe ausdrücken wollen. Die Annäherung an solche Ahnung über eine Analyse von Form, Stil und anderen Elementen der Kunst-Theorie ist wohl hilfreich, bleibt aber auf der vermittelten, rationalisierten Ebene.

Das im gelungenen Fall schönste Ergebnis des künstlerischen Ausdrucks kann damit nicht begriffen werden: dass wir als Publikum von Kunst-Werken und -Darbietungen emotional angerührt, bewegt werden (können).

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4. Ausgewählte Literatur zum "Kunst-" Begriff (vgl. meine ausführlichere Literaturliste!)

  • ARGAN, Giulio Carlo: Der Mensch, seine Kunst und Geschichte. Einleitung. In: Mary Hollingsworth: Belser Weltgeschichte der Kunst. (L'arte nella storia dell'uomo. Florenz: Giunti Gruppo Editoriale 2005) Übs. aus d. Italien. v. C. Callori-Gehlsen; A. Schulz. Stuttgart: Belser 2005. S. 5 - 9.

  • BERTRAM, Georg W.: Kunst. Eine philosophische Einführung. Stuttgart: Reclam 2005 (= Reclams Universal-Bibliothek; 18379).

  • BLUHM, Roland; Reinold SCHMÜCKER (Hg.): Kunst und Kunstbegriff. Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik. (2002) 2., durchgesehene und korrigierte Aufl. Paderborn: mentis 2005.

  • DEMAND, Christian: Warum ist »Kunst« ein Singular?. In: Neue Rundschau, Frankfurt a.M., 116 (2005), Heft 1, S. 30 - 39.

  • GOMBRICH, Ernst H.: Die Geschichte der Kunst. Erweiterte, überarbeitete und neu gestaltete 16. Ausgabe. Berlin: Phaidon 1996.

  • GRÄTZ, Wolfgang: Woran erkennt man eigentlich gute Kunst? In: Büchergilde-Magazin "ARTCLUB" 2-2016, S. 134.

  • LEXIKONREDAKTION des Verlags F.A. Brockhaus, Mannheim (Hg.): Der Brockhaus Kunst. Künstler, Epochen, Sachbegriffe. 2., völlig neu bearb. Aufl. Mannheim, Leipzig: Brockhaus 2001.

  • PAWLENKA, Claudia: Sport als Kunst? Zur Unterscheidung von essentialistischem und formal-ästhetischem Konstitutionsbegriff. In: Sportethik. Regeln - Fairneß - Doping. Hrsg.: C. Pawlenka. Paderborn: mentis 2004. S. 91 - 105.

  • PFISTERER, Ulrich (Hg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Idee, Methoden, Begriffe. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003.

  • RAUTERBERG, Hanno: Und das ist Kunst?! Eine Qualitätsprüfung. Frankfurt a.M.: Fischer 2007.

  • REGENBOGEN, Arnim; Uwe MEYER (Hg.): Wörterbuch der philosophischen Begriffe, begründet von F. Kirchner und C. Michaelis, fortgesetzt von J. Hoffmeister, vollständig neu herausgegeben von A.R. und U.M. Hamburg: Felix Meiner 2013 (= Philosophische Bibliothek, Band 500), Stichwort "Definition"

  • RENZ, Gottfried: Was ist Kunst? Eine Definition. Norderstedt: Books on Demand 2011.

  • RESCH, Christine; Heinz STEINERT: Die Widerständigkeit der Kunst. Entwurf einer Interaktionsästhetik. Münster: Westfälisches Dampfboot 2003 (= Kritische Theorie und Kulturforschung; 6).

  • SCHMÜCKER, Reinold: Der Streit um die Grundlagen der Kunstästhetik. Zu diesem Buch. In: R. Bluhm; R. Schmücker (Hg.): Kunst und Kunstbegriff. Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik. (2002) 2., durchgesehene und korrigierte Aufl. Paderborn: mentis 2005. S. 7 - 16.

  • SCHMÜCKER, Reinold: Was ist Kunst? Eine Grundlegung. Neuausgabe 2014. Vittorio Klostermann 2014 (= Rote Reihe 70).

  • THUILLIER, Jacques: Geschichte der Kunst. (Histoire de l'art. Paris: Editions Flammarion 2002) Übs. aus d. Französ.v. C. Caesar u.a. Paris: Editions Flammarion 2003.

  • TIEDEMANN, Claus: "Sport" and "Art(s)" - a Conceptual Discussion and Proposition. Lecture held at the XII. Internat. CESH-Congress, 20. 09. 2007 in Lorient (France); auch in deutscher Sprache.

  • TIEDEMANN, Claus: Works of Fine Art asSources for Sport-Historical Research. Lecture held at the International Symposium "Art and Sport: A Historical Approach", Ludwigsburg, 20. - 22. 10. 2016.

  • TOLSTOI, Lev N.: Was ist Kunst? (1898 bzw. 1911) Übs. v. Michael Feafanov. Durchges. Neuausgabe mit Anm. und einem Nachwort von Paul H. Dörr. München: Diederichs 1993.

  • ULLRICH, Wolfgang: "Kunst". In: Metzlers Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe. Hg.: U. Pfisterer. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003. S. 192 - 195.

  • ULLRICH, Wolfgang: Gesucht: Kunst! Phantombild eines Jokers. Berlin: Wagenbachs Taschenbücherei 2007.


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