Kunst ist ein kulturelles
Tätigkeitsfeld, in dem Menschen sich aufgrund ihrer
Begabungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ernsthaft
bemühen, ihre Gefühle und Gedanken durch ein selbst
geschaffenes Werk oder durch eine Handlung
auszudrücken. Besteht der Ausdruck in einem Werk
(Gegenstand, Gebilde), das nach seiner Vollendung auch andere
Menschen sinnlich wahrnehmen können, wird dieses
Tätigkeitsfeld "bildende" Kunst genannt; besteht der
Ausdruck in einer Handlung, ist er also an die leibliche
Präsenz des Künstlers gebunden, wird es "darstellende"
Kunst genannt.
Art is a cultural field of activity in which
people, on the basis of their talents, abilities and skills, make
a serious effort to express their feelings and thoughts through
either a work they have created themselves or through a
performance. If the expression consists in a work (object,
structure) which, after its completion, can be perceived by other
people, this field of activity is called „fine (or visual)
art“; if the expression consists in a performance, i.e. if
it is bound to the physical presence of the artist, it is called
„performing art“.
L'art est un domaine d'activité
culturelle, dans lequel des hommes sérieusement
s'efforcent d'exprimer leurs émotions et leurs
pensées par une création de leurs propres mains ou
par une action, au moyen de leurs talents, leurs capacités
et leurs compétences. Si l'expression prend la forme
d'un objet (œuvre) perceptible par un public après
son achèvement, on parle de "beaux arts"; si l'expression
prend la forme d'une action nécessitant la présence
physique de l'artiste, on parle d'"art
d'interprétation".
Diese Kunst-Definition ist ein
Vorschlag, den ich im Mai 2005 erstmals ins Internet gestellt
(und inzwischen schon mehrfach leicht verändert) habe. Er
ist meines Wissens so noch nicht zur Diskussion gestellt worden.
Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der Literatur
bereite ich vor. Einen Essay zu "Sport und Kunst" habe ich im
September 2007 beim XII. Internationalen CESH-Kongress in Lorient
(Frankreich) als "keynote" vorgetragen (in englischer Fassung).
Ebenfalls auf Englisch habe ich 2016 einen Vortrag über
„Works of Fine Arts as
Sources for Sport-Historical Research“ gehalten.
Im Folgenden begründe ich - nach einer
Vorbemerkung zum Wortfeld von "Kunst" - erstens, warum und wie
ich "Kunst" definiere, zweitens erörtere ich Grenzen und
Nutzen meines Definitionsvorschlags, und drittens erläutere
ich die einzelnen Elemente meiner Definition; schließlich
füge ich eine kurze Liste ausgewählter Literatur
an.
0. Vorbemerkung zum Wortfeld von
"Kunst"
Im Folgenden beschäftige ich mich nur mit
einem Teilbereich dessen, was in der deutschen Sprache
auch als "Kunst" bezeichnet wird; dieser Bereich, den ich oben
schon definiert habe und im Folgenden noch erläutern werde,
kann in Kürze wohl am besten als Summe von bildender und
darstellender Kunst (siehe Satz 2 meiner Definition) - in der
Tradition der "schönen Künste" - gekennzeichnet werden;
das nur für diesen Bereich geltende Adjektiv ist
"künstlerisch", daneben aber auch "kunstvoll" (siehe
übernächste Bemerkung).
Das Bedeutungsfeld des deutschen Wortes "Kunst" ist
auch heute noch weit. Ursprünglich bedeutete es ganz
allgemein ein "Wissen (um etwas)" oder eine "Kenntnis (von
etwas)", ein "Vermögen (, etwas zu tun)" oder "Können".
Ich kennzeichne jetzt zwei Bereiche des Wortfeldes "Kunst", mit
denen ich mich im Folgenden nicht beschäftige:
"Kunst" bezeichnet auch eine hoch entwickelte und
(meist) geschätzte Fähigkeit, ein Können
allgemein; beispielsweise: "die Kunst der freien Rede" oder
"Heilkunst" oder "Bewegungskunst". Dass "Kunst" von "Können"
kommt, ist in diesem Wortfeld besonders deutlich und verbindet es
mit dem von mir definierten Begriff von "Kunst". Hier spielen
ästhetische Fragen eine geringere Rolle. Als Adjektiv
entspricht diesem Wortfeld weitgehend "kunstvoll" (siehe
vorletzten Absatz). Die "Künste" dieses Wortfelds stehen in
der Tradition der "(septem) artes liberales", der "freien
Künste". Die Grenzen zu dem von mir definierten
"Kunst"-Begriff sind (zunächst) verschwommen.
"Kunst" bezeichnet auch etwas von Menschen
Gemachtes - im Gegensatz zu "Natur"; beispielsweise: "Kunstseide"
oder "Wasserkunst". Das Adjektiv "künstlich" wird heute fast
nur noch in diesem Sinne benutzt; früher hatte es allerdings
auch die Bedeutung von Können (vgl. den Kirchenliedvers
"..., der künstlich und fein dich bereitet").
Am letzten Beispiel wird deutlich, dass die
Bedeutungsfelder von Wörtern sich entwickeln. Gerade deshalb
erscheint es mir nötig, klar festzustellen, in welcher
Bedeutung wir hier und jetzt die Wörter gebrauchen (wollen),
zumindest die wichtigen, zumindest im wissenschaftlichen
Austausch.
1. "Kunst" definieren - warum und
wie?
Kunst zu definieren ist schwierig. Dies wird an
vielen Beiträgen zur Definitions-Problematik deutlich. Viele
Autoren der Kunstwissenschaft (unter anderem Ernst Gombrich)
gehen sogar davon aus, dass eine Definition von "Kunst" gar nicht
sinnvoll, nützlich sei. Manche Autoren (unter anderem
Christian Demand) halten die geistige Anstrengung, "Kunst" zu
definieren, zwar für sinnvoll, ja, nötig, bieten aber
selbst keine Definition von "Kunst" an.
Grundsätzlich muss jeder Wissenschaftler einen
möglichst klaren Begriff von den zentralen Gegenständen
seiner Wissenschaft haben. Die Vorstellung, ein Physiker
hätte keinen genauen Begriff von Physik, ein Jurist keinen
von Recht usw., dürfte allen Menschen merkwürdig
erscheinen. Genau dies wird aber von vielen Kunstwissenschaftlern
für normal bzw. sogar normativ erklärt. Nun bin ich in
erster Linie kein Kunstwissenschaftler, sondern
Sportwissenschaftler, aber einerseits verstehe ich mich
allgemeiner als Kultur- und Gesellschaftswissenschaftler, und
andererseits begegne ich in der Sport-Wissenschaft einer
ähnlichen Situation: Auch dort herrschen derselbe Mangel an
einem klaren Begriff für den zentralen Gegenstand dieser
Wissenschaft sowie die weit verbreitete Meinung, man könne
"Sport" nicht definieren und brauche es deshalb gar nicht erst zu
versuchen. Ich habe diesem Mangel mit einem eigenen Definitionsvorschlag
für "Sport" abzuhelfen versucht.
Als ich mich mit dem Thema "Bewegungskultur und
Sport in der bildenden Kunst" beschäftigte, stellte ich
fest, dass in der Kunstwissenschaft (oder wie immer sie
bezeichnet werden mag; Kunstgeschichte ist die
traditionelle Bezeichnung, aber es geht in der Wissenschaft der
"Kunst" nicht nur um Historisches!) eine der Sportwissenschaft
sehr ähnliche Situation vorzufinden ist: Auch hier ist der
zentrale Begriff dieser Wissenschaft so entgrenzt, dass unter
"Kunst" alles Mögliche verstanden werden kann. Ähnlich
wie in der Sportwissenschaft entstehen auf solche Weise eine
völlige Beliebigkeit und Unklarheit im
kunstwissenschaftlichen Diskurs.
Wer sich mit dieser Entwicklung (bzw. mit diesem
Zustand) nicht abfinden mag, muss sich dem mühevollen
Unterfangen stellen, den Begriff "Kunst" (als zentralen
Gegenstand der Kunstwissenschaft) zu klären, seinen Umfang
bzw. seine Grenzen zu bestimmen, und das heißt, "Kunst" zu
definieren; und diese (Arbeits-) Definition muss öffentlich
bekannt gegeben werden. Dies tue ich hiermit in der Hoffnung auf
fördernde Resonanz aller derer, die sich um klare Begriffe
in den Kulturwissenschaften bemühen.
Eine Definition soll die Bedeutung
eines Begriffs bestimmen, festlegen, ein- bzw. abgrenzen. Zur
Klarstellung gleich vorweg: Eine Definition als eine Vorschrift
o.ä. zu begreifen, wäre ein Missverständnis. Jeder
denkende Mensch bildet sich seine je eigene Meinung und benutzt
Worte in seiner je eigenen Bedeutung. Dies sollte man aber nicht
subjektivistisch oder konstruktivistisch übertreiben. Wir
sind gesellschaftliche Wesen, auf Austausch und
Verständigung mit anderen Menschen angelegt, in der
Wissenschaft sowieso. Wenn wir uns aber mit anderen Menschen
verständigen wollen, die ja einen eigenen Wortgebrauch
haben, müssen wir unseren Wortgebrauch klären,
zumindest auf Nachfrage klären können. Wissenschaftler
müssen darüber hinaus von vornherein, ohne auf
Nachfrage zu warten, zumindest ihre zentralen Begriffe
klären. Wenn KunstwissenschaftlerInnen sich gegenseitig
ungefragt mitteilen, was sie unter Kunst verstehen, dann tun sie
nur das Notwendige; wenn sie es unterlassen, ist das ein
schwerwiegendes Hindernis für die Verständigung. In
diesem Sinne ist das Definieren eine notwendige Vorleistung
für den wissenschaftlichen Austausch von Erkenntnissen und
Meinungen.
Nun sind Definitionen bekanntlich nicht
Instrumente, die in erster Linie die Wirklichkeit verändern
sollten oder gar könnten; vielmehr soll hauptsächlich
die vorgefundene (objektiv gegebene) Wirklichkeit in ihnen klar
und trennscharf auf den Begriff gebracht werden. "In erster
Linie", "hauptsächlich" - mit dieser Wortwahl habe ich schon
angedeutet, dass in allen Worten, also auch (oder erst recht) in
Definitionen, eine Vorstellung davon repräsentiert ist, wie
die Wirklichkeit auch sein könnte. Ich verfolge mit
meinen Worten (und damit auch Definitionen) einerseits kein nur
objektivistisches Ideal (das sowieso nicht erreichbar ist).
Andererseits verstehe ich meinen Wortgebrauch auch nicht als nur
subjektivistisch oder konstruktivistisch. Dies bedeutet, dass ich
die oben angedeutete Priorität akzeptiere, in der beides
aufgehoben ist: Definitionen sollten so klar und
trennscharf wie möglich die Wirklichkeit auf den Begriff
bringen und zugleich in aller Feinheit zumindest andeuten, wie
die Wirklichkeit auch sein könnte.
Man kann mehrere Arten des Definierens
unterscheiden: Real- (oder Wesens-) Definition,
Nominaldefinition, Feststellungsdefinition, ostentative und
operationale Definition. Ich schlage - entsprechend einer auf
Aristoteles zurückgehenden philosophischen Tradition - eine
sogenannte Realdefinition vor. Sie soll das
Wesen des Gegenstandes eines Begriffes festlegen durch Angabe der
nächsthöheren Gattung (genus proximum) und des
artbildenden Unterschiedes (differentia specifica).
"Fehler" kann man bei einer regelrechten Definition auch machen,
wenn sie z.B. zu eng oder zu weit ist, Widersprüche
enthält, unklar formuliert ist, eine negative Formulierung
oder gar das zu definierende Wort selbst enthält
(vgl. Regenbogen, Arnim; Uwe Meyer (Hrsg.) (2013):
Wörterbuch der philosophischen Begriffe, begründet von
F. Kirchner und C. Michaelis, fortgesetzt von J. Hoffmeister,
vollständig neu herausgegeben von A.R. und U.M. Hamburg:
Felix Meiner 2013 (= Philosophische Bibliothek, Band 500),
Stichwort "Definition". (Nach der analytischen Philosophie in
der Tradition Rudolf Carnaps wäre für meine Definition
eine Bezeichnung als "Begriffsexplikation" genauer; vgl. Cohnitz,
Daniel: Wann ist eine Definition von 'Kunst' gut?; letzter
Zugriff: 24.12.2020).
Wenn man eine solche Definition erarbeiten will,
wie sie in den meisten Wörterbüchern und Lexika geboten
wird, muss man sich zunächst also Gedanken machen, zu
welcher Gattung Kunst gehört, welche Begriffe auf derselben
Ebene angesiedelt sind und welches die
nächst(höher)e Gattung (Begriffsebene)
ist. Den Begriff Apfel z.B. der Gattung Obst zuzuordnen,
wärde einen Schritt zu weit gehen, weil Kernobst die
nächsthöhere Gattung ist. Für mich ist die
nächsthöhere Gattung für den Begriff "Kunst"
"Tätigkeitsfeld". Kunst ist eines von vielen
Tätigkeitsfeldern. Die Fülle von
Tätigkeitsfeldern habe ich schon etwas eingeschränkt
durch das Adjektiv "kulturell". Die Elemente meiner Definition
erläutere ich ausführlicher weiter unten.
Im zweiten Schritt muss man den
"artbildenden Unterschied" benennen, also das,
was das (kulturelle) Tätigkeitsfeld Kunst von anderen
(kulturellen) Tätigkeitsfeldern unterscheidet. Dies sollte
so knapp und klar wie möglich formuliert werden mit Worten
bzw. Begriffen, die möglichst allgemein verständlich
sind. Aus der grundsätzlichen Notwendigkeit, dass die
hierbei verwendeten Begriffe ja ihrerseits wieder definiert
werden müssten, folgern einige Autoren, dass ein solches
Vorgehen letztlich zirkulär sei, was einen schwerwiegenden
Verstoß gegen die Definitions-Regeln darstelle; daher
könne bzw. müsse man solches gar nicht erst versuchen.
Dieses Bedenken ist ebenso puristisch wie unfruchtbar. Meines
Erachtens ist es sowohl hinreichend als auch notwendig, die in
der Tat logisch denkbare Zirkularität als eine
"Unschärfe" in Kauf zu nehmen, um praktisch einen
großen Gewinn an begrifflicher Klarheit zu erwerben.
Klar ist, dass auch diese Definition
subjektiv ist, das Ergebnis (m)einer Handlung und
(m)einer Entscheidung. Diese Subjektivität ist
unhintergehbar. Andere werden anders handeln und
entscheiden. Wissenschaft besteht natürlich aus dem
Auseinandersetzen mit anderen Subjekten, ihren Handlungen und
Entscheidungen - mit dem Angebot, das eigene Handeln und
Entscheiden nachvollziehbar zu begründen und damit
nachprüfbar zu machen. Wenn Kunstwissenschaftler (ebenso wie
viele zur Zeit maßgebliche Sportwissenschaftler) den
Standpunkt vertreten, man könne "Kunst" nicht definieren, so
verweigern sie sich dem, was (Kunst- und Sport-) Wissenschaft
grundlegend ausmacht: mit geklärten Grundbegriffen
kommunizieren; sie bleiben damit im unklaren
Alltags-Sprachgebrauch.
Alle Elemente meiner Kunst-Definition sind
notwendig, und nur gemeinsam sind sie hinreichend. Dies
bedeutet, dass eine Tätigkeit schon dann nicht mehr zum
Tätigkeitsfeld "Kunst" gehört, wenn auch nur eines der
definierenden Elemente nicht gegeben ist. Dies ist eine
Denkfigur, die klare Abgrenzung ermöglicht, und dies ist
schließlich der Wort-Sinn des Definierens.
2. Grenzen und Nutzen dieser
Kunst-Definition
Mein Definitionsvorschlag unterscheidet sich vom
alltags- und umgangssprachlichen "Kunst"-Begriff. Dies erscheint
mir angesichts der grenzenlosen Beliebigkeit des Alltags- (und
leider auch Wissenschafts-) Sprachgebrauchs sogar eher als
Vorteil. Mein Vorschlag bietet eine sehr allgemeine sprachliche
Kennzeichnung für das Besondere von "Kunst". Ich hoffe aber,
mit diesen wenigen Worten das Wesentliche erfasst zu haben.
Über die konkreten Bestimmungen zum Beispiel von
"Begabungen" sowie "Fähigkeiten und Fertigkeiten" kann und
muss gestritten werden - siehe dazu auch die Erläuterungen
weiter unten!
Der größte und allgemeine Nutzen dieser
Begriffsklärung entsteht für den
kunstwissenschaftlichen Diskurs: Wenn Kunstwissenschaftler
voneinander wissen, was sie jeweils unter "Kunst" verstehen,
können sie - gerade bei verschiedenen Auffassungen! -
miteinander reden in klarem Bewusstsein ihres je
unterschiedlichen Gebrauchs des zentralen Begriffs ihrer
Wissenschaft.
Über Fragen des Geschmacks, des
Wohlgefallens oder der Ablehnung von Kunstwerken oder
-darbietungen, kann nicht sinnvoll diskutiert oder gar gestritten
werden. Diese subjektiven Geschmacksurteile werden unbewusst
und blitzschnell gebildet und entziehen sich weitgehend der
rationalen Kontrolle. De gustibus non est disputandum.
Hier gibt es kein „richtig“ oder
„falsch“, höchstens ein Bemühen um
nachvollziehendes Verstehen. Dieses Feld habe ich deshalb bei
diesen Überlegungen völlig außen vor
gelassen.
3. Erläuterung der einzelnen
Elemente meiner "Kunst"-Definition
Zur Klärung für die hoffentlich
einsetzende Diskussion meines Vorschlags erläutere ich im
Folgenden kurz die einzelnen Elemente meiner
"Kunst"-Definition:
"Tätigkeitsfeld": Dies ist
der nächsthöhere Begriff, das "genus
proximum". Dass der zu definierende Begriff "Kunst" als ein
Tätigkeitsfeld bezeichnet wird, soll klären,
dass es sich bei "Kunst" um einen abstrakten Sachverhalt
handelt, nicht etwa um einen Gegenstand, Zustand o.ä.
"Kunst" ist auch kein Begriff für eine Tätigkeit,
sondern ein Ober-Begriff für viele Tätigkeiten.
Tätigkeiten wie Steine-Behauen, Malen oder Singen, Tanzen
usw. können auch Alltags-Tätigkeiten sein; dann
gehören sie zum Tätigkeitsfeld Alltag. Meine
kategoriale Zuordnung des Begriffs "Kunst" zu
"Tätigkeitsfeld" grenzt diese Definition von vornherein klar
ab von verbreiteten Zuordnungen von "Kunst" zu "Tätigkeit"
oder gar zu "Gegenstand".
Dass die Handelnden Menschen (also z.B. nicht
Tiere) sind, erscheint mir eigentlich selbstverständlich,
muss aber wohl betont werden; es wird durch die folgende
Erläuterung zu "kulturell" hoffentlich noch deutlicher. Denn
in der Alltagssprache werden einigen Tieren Tätigkeiten wie
Singen, Tanzen usw. zugeordnet, ohne dass jeweils klar ist, dass
dies nur metaphorisch gemeint wäre. Von Primaten bemalte
Leinwände wurden wohl auch von sogenannten Experten als
Werke menschlicher Kunst betrachtet - kein Wunder angesichts sehr
fragwürdiger Beurteilungsgrundsätze und
-maßstäbe für "moderne" Kunst, könnte man
ein wenig "schadenfroh" feststellen. Umso wichtiger ist
begriffliche Klarheit, verbunden mit gut begründeten,
kommunizier- und bestreitbaren Werturteilen (siehe dazu unten
die Erläuterungen zu "Fähigkeiten und Fertigkeiten"
sowie zu "bemühen"!).
Juristen, die traditionell großen Wert auf
geklärte Begriffe legen, mussten sich schon in manchem
Rechtsstreit mit der Frage beschäftigen,
was denn "Kunst" sei, von der es im Grundgesetz,
Artikel 5, Absatz 3, (nur) heißt, sie sei frei. Da sich der
Streit meistens an "Kunst"-Werken (!) entzündete,
haben unsere höchsten Richter in ihrer Rechtsprechung -
mangels klarer Vorgaben der Kunstwissenschaftler - einen
Kunstbegriff geschaffen und definiert, der sich insbesondere auf
Werke als "Kunst" (oder nicht) bezieht. Von
solchem objektbezogenen (gegenständlichen) Kunstbegriff
unterscheidet sich mein tätigkeitsorientierter,
prozesssualer Kunstbegriff grundsätzlich.
Während man entsprechend einem objektbezogenen Begriff von
Kunst angesichts eines Kunstwerks fragen kann "ist das Kunst?",
frage ich mit meinem prozessualen Begriff von Kunst angesichts
eines Kunstwerks "ist das ein Kunstwerk?", also nach dem
Ergebnis bzw. Produkt menschlicher künstlerischer
Tätigkeit.
Der Kunstbegriff im Grundgesetz (Artikel 5, Absatz
3) scheint mir übrigens - zumindest implizit - mit
"Tätigkeitsfeld" als Oberbegriff gemeint zu sein,
wenn es heißt: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre
sind frei." "Frei" (von Zensur oder anderer staatlicher
Einflussnahme) sind die in diesem Zusammenhang aufgeführten
Tätigkeitsfelder "Kunst und Wissenschaft, Forschung
und Lehre" - und insoweit auch die in diesen Feldern tätigen
Menschen. Ihren Werken - als Gegenständen
- kann man nicht sinnvoll die Eigenschaft "frei" zuordnen.
Wissenschaft, Forschung und Lehre als Gegenstand oder Werk zu
verstehen, würde sicher niemandem einfallen - wieso aber
Kunst?!
Diese kategoriale Unterscheidung habe ich in
kunstwissenschaftlichen Betrachtungen nicht so gefunden; die von
mir vorgeschlagene tätigkeitsorientierte,
prozessuale Zuordnung des Kunst-Begriffs scheint neu zu
sein; mir erscheint sie grundlegend und wichtig.
"kulturell": Auf der Grundlage der
natürlichen Umstände und Bedingungen, die von den
Menschen in immer weiterem Ausmaß auch verändert
werden, entwickeln die Menschen ihre Lebensformen
gesellschaftlich / kulturell. In der Stammesgeschichte des "homo"
bedeutet die Fähigkeit zur (Selbst-) Reflexion einen
entscheidenden Schritt zur Entwicklung von Kommunikation, Sprache
und freiem, spielerischem Denken. Erst nach diesem
Entwicklungsschritt kann man von "Kunst" (und anderen kulturellen
Tätigkeitsfeldern wie "Sport") reden. Kultur ist die
reflektierte, bewusste Gestaltung der eigenen
Entwicklung, sowohl auf der Ebene der menschlichen Gattung als
auch auf der des einzelnen Menschen.
"Begabungen": Menschen sind
unterschiedlich begabt; sie haben - genetisch bedingt sowie
erworben durch unterschiedliche Entwicklungs-Möglichkeiten
in Kindheit und Jugend (oder noch später) - unterschiedliche
Handlungs-Möglichkeiten in unterschiedlichen
Tätigkeitsfeldern, so auch im bildenden und darstellenden
Bereich von Kunst. Der teils sehr komplexe und deshalb nur schwer
begründ- und erklärbare Charakter von Begabungen legt
insbesondere in der Kunst ein Denken in Begriffen wie "Genie" und
"genial" nahe; dies kennzeichnet aber weniger den tätigen
Künstler als vielmehr den starken Eindruck, den seine Werke
oder Leistungen auf andere machen; zudem kann ein solches Denken
die Bedeutung von Übung und Fleiß (siehe die
nächste Erläuterung!) abwerten.
"Fähigkeiten und
Fertigkeiten": Die unterschiedlich begabten Menschen
entwickeln ihre Handlungs-Möglichkeiten teilweise auch
selbst-tätig, überwiegend aber wohl unter Anleitung von
Lehrern und Meistern. Fähigkeiten bezeichnen komplexere
Handlungsmöglichkeiten; Fertigkeiten sind weniger komplexe,
eher handwerkliche Handlungsmöglichkeiten; beide können
durch Lernen und Üben erreicht und gesteigert werden, im
Bereich von Kunst meist mit dem Ziel großer
Könnerschaft oder Meisterschaft. Dieses Ziel erreichen die
Künstler in individuell verschiedenem Grad, über den
auch Außenstehende (das Publikum) urteilen (können)
und oft sehr unterschiedlicher Meinung sind.
"ernsthaft": Hiermit möchte
ich andeuten, dass das Bemühen (siehe nächste
Erläuterung!) auf höchstmögliche Perfektion zielt.
Damit ist auch dieses Element graduierend, abstufend gemeint. Ein
("richtiger") Künstler möchte "ernst genommen" werden,
weil er sich "ernsthaft" bemüht (hat). Es gibt allerdings
auch Menschen, die sich aus Liebhaberei (im besten Wortsinn als
Amateure, Dilettanten) im Tätigkeitsfeld Kunst tummeln, die
sich aber, wenn sie ehrlich sind, nicht als "richtige"
Künstler verstehen. Auch das "Publikum" prüft -
zumindest innerlich - wohl stets, ob das jeweilige Kunstwerk bzw.
die künstlerische Darbietung wirklich "ernst gemeint" sei -
natürlich mit jeweils individuellem Ergebnis. Eine solche
Einschätzung ist überwiegend intuitiv und damit einem
rationalen Diskurs schwer zugänglich.
"bemühen": Hiermit ist ein
ernsthaftes (siehe vorherige Erläuterung) Anstrengen
gemeint, keineswegs bloßes Wollen (vgl. den Ausspruch:
"Kunst kommt von Können; käme sie von Wollen,
hieße sie Wulst"!). Bei manchen Menschen / Künstlern
kann dieses Bemühen die Dimension existenzieller
Notwendigkeit annehmen, für die sie zu großen
persönlichen Opfern bereit sind. Maßstab ist für
die Künstler sicher in erster Linie die eigene
Vorstellung dessen, was sie wie ausdrücken wollen und
können - abhängig von den objektiven Gegebenheiten
und Möglichkeiten sowie den eigenen Fähigkeiten und
Fertigkeiten plus etwas Unwägbarem wie "Glück" oder
"Kairos". Ein weiterer Maßstab für das ständige
Bemühen der Künstler um Perfektionierung und
Meisterschaft ist wohl auch das Vergleichen mit anderen
Künstlern und ihren Werken bzw. Darbietungen.
Der Wille, etwas schaffen oder darstellen zu
wollen, ist bei der Künstlerperson wohl eine grundlegende
Voraussetzung für ihre Tätigkeit, reicht aber nicht
hin. Das Bemühen soll zum bestmöglichen Ergebnis
führen. Ernsthafte und ehrliche Künstler sind ihre
schärfsten eigenen Kritiker und zielen im idealen Fall erst
in zweiter Linie auf Beifall Anderer, nachdem sie selbst mit
ihrem Werk bzw. ihrer Darbietung restlos zufrieden sind. Real, im
oft nicht idealen Fall, müssen Künstler wohl
Kompromisse eingehen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten:
Erfolg beim Publikum bringt Möglichkeiten für
materiellen Gewinn.
Außenstehende (das Publikum) beurteilen das
künstlerische Bemühen und sein Ergebnis (das Werk, die
Darbietung) zunächst rein emotional: Es gefällt mir
oder nicht, ich bin berührt oder nicht. Diese (je
individuelle) Bewertung läuft unbewusst und meist in
kürzester Zeit ab; sie entzieht sich einer rationalen
Erklärung oder Vermittlung (dies drückt das viel
zitierte "je ne sais quoi" aus: ich weiß nicht, was bzw.
warum). Ich weiß zwar nicht, warum mich etwas emotional
berührt, aber ich bin mir meist ziemlich schnell sicher,
jedenfalls, wenn mir etwas sehr gefällt oder missfällt.
Hierüber kann man nicht sinnvoll streiten.
Auf dieser spontanen emotionalen Grundlage kann
sich bei intensiverer Beschäftigung mit einem Kunstwerk oder
einer künstlerischen Darbietung ein in gewisser Weise auch
von Kenntnis und Erfahrung bestimmtes differenziertes
Geschmacksurteil entwickeln, das die zunächst binäre
Gefühlsbewertung durchaus relativieren kann. Dieses Stadium
des Urteilens ist rational vermittelbar und kommunizierbar;
über solche Aspekte des Geschmacksurteils kann man mit
Anderen durchaus streiten, da (ästhetische) Kenntnis und
Erfahrung erworben und geübt - und gelehrt - werden
können.
"Gefühle und Gedanken
ausdrücken": Dies ist das Definitions-Element, das
künstlerische Tätigkeit wesentlich vom bloßen
Handwerk unterscheidet: Es geht in der Kunst nicht allein um die
Herstellung eines Gebildes oder Gegenstands bzw. um eine
(gekonnt) präsentierte Darbietung, sondern darüber
hinaus und wesentlich darum, mit dem Werk oder der Handlung etwas
auszudrücken, was - hoffentlich, aber durchaus nicht
notwendig - von anderen Menschen geschätzt und "verstanden"
wird. Das, was Menschen in der Kunst ausdrücken wollen, kann
zwar von außen (durch Auftrag, Bezahlungsversprechen oder
Ähnliches) angeregt sein, stammt aber im idealen Fall
wesentlich aus ihnen selbst, aus ihrer Persönlichkeit, zu
der sie sich in Verbindung mit ihrem natürlichen und
insbesondere gesellschaftlich-kulturellen Umfeld entwickelt
haben: es sind ihre Gefühle und / oder Gedanken, ihre
Ängste oder Leidenschaften, ihre Träume oder
Fantasien.
Das künstlerische Bemühen um Ausdruck ist
eine emotionale Angelegenheit des Künstlers. Als Publikum
hierüber zu streiten ist darum sinnlos. Man kann
nur mit Einfühlung, Intuition (intueri, lat. = genau auf
etwas hinschauen) versuchen, eine (eigene!) Ahnung dessen zu
gewinnen, was der Künstler möglicherweise habe
ausdrücken wollen. Die Annäherung an solche Ahnung
über eine Analyse von Form, Stil und anderen Elementen der
Kunst-Theorie ist wohl hilfreich, bleibt aber auf der
vermittelten, rationalisierten Ebene.
Das im gelungenen Fall schönste
Ergebnis des künstlerischen Ausdrucks kann damit
nicht begriffen werden: dass wir als Publikum
von Kunst-Werken und -Darbietungen emotional angerührt,
bewegt werden (können).
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