Prof. Dr. Claus Tiedemann

Universität Hamburg
Institut für "Bewegungswissenschaft";
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Stil-Segeln? Nein danke!
Eine Polemik

aktualisiert: 20. Mai 2021
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(geschrieben im Mai 1989 für die Zeitschrift "505 - speed. Segler-Magazin der Deutschen 505-Klassenvereinigung", abgedruckt in Heft 2/89, S. 10 - 16)
(leicht gekürzt und verändert veröffentlicht unter dem Titel "Sollte Pumpen erlaubt werden?"
in: "Segelsport. Die Zeitschrift des Deutschen Segler-Verbandes", Hamburg, 1990, Heft 2 (Februar), S. 61 - 63.)

Vorbemerkung: Diesen Text habe ich 1989 aus aktuellem Anlass geschrieben, und zwar als aktiver Regatta-Segler (in der Internationalen 505-Jolle, meistens als Vorschoter) sowie als Segel-Funktionär und als Sportwissenschaftler. Jetzt, viele Jahre später, ist er insofern überholt, als die Internationalen Wettsegel-Bestimmungen in dem angegriffenen Punkt (Regel 54, Vortrieb) erfreulicherweise wieder geändert worden sind. Insofern war diese Polemik auch ein erfolgreicher Beitrag dazu, dass diese unselige Regel nicht lange galt. Über den damals aktuellen Anlass hinaus erscheint mir dieser Text weiterhin lesenswert, weil er auch eine sportphilosophische Betrachtung über den Sinn von (Regatta-) Segeln darstellt, die in einen Vorschlag zur Definition dieser Sportart mündet.

Ich habe diese sportwissenschaftlichen Betrachtungen inzwischen ausgeweitet auf den Begriff "Sport" und auch dafür einen Definitions-Vorschlag vorgestellt; vgl. dazu auch meinen Vortrag von 2005 "Was ist der Gegenstand der Sportwissenschaft?" und weitere Veröffentlichungen zu zentralen Begriffen der Sportwissenschaft. Hier nun mein Text vom Mai 1989 (nicht nur in der Rechtschreibung behutsam aktualisiert):



Mit den neuen Internationalen Wettsegel-Bestimmungen (IWB) 1989-1992 der IYRU, die seit 1. Mai 1989 gelten und in zweisprachiger Ausgabe beim DSV-Verlag erschienen sind (DM 19,50), sind viele Änderungen für die nächste (olympische) Saison in Kraft getreten. Sven Harder hatte schon in "505-speed 1/89" auf vieles hingewiesen. Der in diesem Heft abgedruckte Beitrag von Richard Keilbach beschäftigt sich mit einigen Einzelheiten, die im konkreten Fall auch wichtig sind. Ich will mich hier einmal grundsätzlich mit der diesen neuen IWB zugrundeliegenden Auffassung von "Segeln" beschäftigen, sozusagen der "Philosophie".

In Regel 54 ("Vortrieb") sehen die neuen IWB starke Einschränkungen vor, die höchstens teilweise auf der neuen Begriffsbestimmung von "Segeln" in Teil I beruhen, möglicherweise ihr aber sogar im Kern widersprechen. Diese Regel 54 ist in ihrer Bedeutung dadurch enorm aufgewertet worden, dass eine Disqualifikation wegen eines Verstoßes gegen sie nach Regel 74.5(c) nicht gestrichen werden darf. Bevor ich sie kommentiere, zunächst die grundlegenden neuen Texte im (DSV-offiziellen) deutschen Wortlaut (mit einigen Schlüsselbegriffen im Englischen Original):

"Teil I - Status der Regeln, Grundregeln und Begriffsbestimmungen
...
GRUNDREGELN
...
C. Faires Segeln
Eine Yacht, ihr Eigner und ihre Besatzung dürfen nur durch "Segeln" (engl. "sailing") konkurrieren, indem sie unter Einsatz ihrer Geschwindigkeit und durch seglerisches Können (engl. "using their speed and skill") sowie - ausgenommen in Team-Wettfahrten - durch eigenes Bemühen (engl. "by individual effort") in Übereinstimmung mit diesen Regeln und unter Beachtung der anerkannten Grundsätze der Fairness und des sportlichen Verhaltens teilnehmen.
...
BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
...
Segeln - Eine Yacht segelt, wenn sie zur Erhöhung, Erhaltung oder Verringerung ihrer Fahrt nur Wind und Wasser benutzt, wobei die Besatzung Segel und Rumpf trimmt und im übrigen die Regeln der Seemannschaft anwendet (engl. "A yacht is sailing when using only the wind and water to increase, maintain or decrease her speed, with her crew adjusting the trim of sails and hull and performing other acts of seamanship").
...
Teil V - WEITERE SEGELVORSCHRIFTEN
PFLICHTEN BEI DER HANDHABUNG EINER YACHT
Eine Yacht ist den Regeln des Teils V nur während einer Wettfahrt unterworfen
...
54 VORTRIEB
54.1 GRUNDSÄTZLICHES
Soweit nicht gem. Regel 54.3 zulässig, darf eine Yacht nur durch Segeln konkurrieren (engl. "a yacht shall compete only by sailing"); die Besatzung darf keine sonstigen Körperbewegungen ausführen, um der Yacht Vortrieb zu geben (engl. "and her crew shall not otherwise move their bodies to propel the yacht"). Grundregel A (Hilfeleistung) und Regel 55 (Aufkommen oder Festkommen an einem Hindernis) haben Vorrang gegenüber Regel 54.
54.2 VERBOTENE HANDLUNGEN
Die nachstehenden Handlungen sind verboten, ohne dass hierdurch die Anwendung von Regel 54.1 eingeschränkt würde:
(a) Pumpen: Wiederholtes Bewegen eines Segels entweder durch Dichtholen und Fieren des Segels oder durch vertikale oder Querschiffs-Körperbewegungen;
(b) Schaukeln: Wiederholte Rollbewegungen, die entweder durch Körperbewegungen oder durch Segel- oder Schwertverstellen herbeigeführt werden;
(c) Ooching: Schnelle, abrupt abgestoppte Verlagerung des Gewichts der Besatzung nach vorn;
(d) Wriggen: Wiederholte Bewegungen des Ruders, die nicht zum Steuern erforderlich sind; und
(e) wiederholtes Wenden und Halsen, das nicht mit Windänderungen oder regattataktischen Überlegungen in Zusammenhang steht.
54.3 AUSNAHMEN
(a) Unmittelbar vor, während und unmittelbar nach einem Wende- oder Halsemanöver darf die Besatzung Körperbewegungen ausführen, um die Yacht zum Rollen zu bringen, sofern durch diese Bewegungen
(i) die Yacht in der Wettfahrt keinen größeren Vorteil erlangt, als dies ohne das Wende- bzw. Halsemanöver der Fall gewesen wäre, oder
(ii) ihr Mast nicht mehr als einmal von der Senkrechten abweicht.
(b) Ist auf einem freien Bahnschenkel Wellenreiten (schnelles Beschleunigen der Yacht abwärts auf der Leeseite einer Welle) oder Gleiten möglich, so darf die Besatzung zur Einleitung des Wellenreitens bzw. Gleitens die Großschot oder den Gabelbaum (nicht jedoch den Achterholer irgendeines Segels) pumpen; dies darf jedoch nur einmal bei jeder Welle bzw. Böe erfolgen. Beim Pumpen des Großsegels darf nur der Part der Großschot zwischen dem Besatzungsmitglied, das die Schot führt, und dem ersten Block am Großbaum benutzt werden.
(c) Die Bestimmungen von Regel 54.3(b) können durch Klassenvorschriften geändert oder ergänzt werden."

Nicht nur in dieser - allerdings grundlegenden - Frage folgen die neuen IWB einem allgemeinen Trend zur Verrechtlichung unseres Lebens, der eben auch im Sport seine Spuren hinterlässt. Viele Dinge bzw. Zusammenhänge sind auch so kompliziert, dass die vielen Menschen, die mit ihnen zu tun haben, sich dauernd über ihre jeweils unterschiedlichen Auffassungen davon streiten würden, wenn es nicht klare (rechtliche) Regeln und Definitionen gäbe. Allerdings denke ich, dass hier der Grundsatz gelten sollte: Größtmögliche Klarheit mit möglichst wenig Regeln.

Aber: Wie haben wir - Aktive und Funktionäre - es bis 1988 überhaupt geschafft, ohne eine höchst-verbandliche Definition zu segeln? Was haben wir eigentlich gemacht, wo dieses Problem in den früheren IWB nicht definitorisch geklärt war? Haben wir bis 1988 alle nicht gewusst, was "Segeln" (engl. "sailing") ist? Weshalb musste das in den neuen IWB überhaupt definiert werden?

Ganz naiv haben wir versucht, eine Wettfahrt oder eine Wettfahrtserie durch faires Segeln, überlegene Schnelligkeit (superior speed) und seglerisches Können (skill) zu gewinnen. Und genauso stand es bis 1988 in den IWB, Grundregel C. Was zur Steigerung (bzw. allgemeiner: zur Beeinflussung) der Bootsgeschwindigkeit dienen konnte, wurde versucht.

Allerdings setzten schon frühere IWB hier Grenzen, nur noch nicht so enge wie die neuen IWB.

Mit den alten Bestimmungen, insbesondere den Vortriebsregeln (Regel 60 der IWB 1981-1984; Regel 54 der IWB 1985-1988), konnten wir einigermaßen leben. Als Aktive versuchten wir, die Spielräume der Regeln so weit wie möglich zu dehnen und auszuschöpfen; und als Funktionäre hatten wir zwar unsere liebe Not mit den schaukelnden, pumpenden usw. SeglerInnen, aber die Verbotsbestimmungen waren einerseits recht unscharf, und andererseits bestand für die SeglerInnen, die tatsächlich einmal deswegen ausgeschlossen worden waren, die Möglichkeit, dieses Ergebnis zu streichen.

Die Unschärfe der alten Regelung bestand darin, dass als Grenze der Natur-Begriff bemüht wurde. "Eine Yacht darf nur durch die natürliche Einwirkung (engl. "natural action") des Windes auf Segel und Spieren sowie des Wassers auf Rumpf und Unterwasserflächen vorangetrieben werden, soweit nicht andere Mittel aufgrund dieser Regel zulässig sind. Sie darf ihre Fahrt nicht durch unnatürliche (engl. "abnormal") Mittel verringern." So hieß es bis 1988. Was aber ist natürlich (bzw. normal) beim Wettsegeln?

Regattasegler haben es immer als natürlich angesehen, durch eigenes Einwirken auf ihr Gerät die Geschwindigkeit zu erhöhen (bzw. allgemeiner: zu beeinflussen), um (letztlich) schneller zu sein als die Konkurrenz. Durch ihr eigenes Einwirken auf ihr Gerät haben sie versucht, "die natürliche Einwirkung des Windes auf Segel und Spieren sowie des Wassers auf Rumpf und Unterwasserflächen" zu optimieren. Und ich glaube, das werden sie auch in Zukunft weiter anstreben, weil das der Sinn des Wettsegelns ist.

Wenn wir mal nicht nur an die Geschwindigkeits-Steigerung denken, sondern z.B. an eine Situation, in der das Gegenteil aus taktischen Gründen sinnvoll ist, wie z.B. beim Ansteuern einer Halsen- oder Lee-Tonne am Ende eines größeren Pulks: was ist da natürlicher, als die Segelfläche durch Dichtholen (des Großsegels) oder Bergen (des Spinnakers) zu verkleinern, womöglich auch durch Krängen des Bootes, wiederholtes Querstellen des Ruders o.ä.? Ist das nicht-normal (engl. "abnormal")? Meines Erachtens ist dies innerhalb dessen, was den Sinn des (sportlichen oder Wett-) Segelns ausmacht. Die Grenze wird erst überschritten, wenn zur Vortriebsregulierung andere Mittel oder Geräte eingesetzt werden, z.B. Anker (dies ist in den früheren IWB ausdrücklich aufgeführt gewesen), Paddel (auch Arme oder Beine der SeglerInnen) oder gar Motoren.

Für mich liegt die Grenze zwischen der Einwirkung auf das Gerät (erlaubt) und der direkten Einwirkung auf die natürlichen Gegebenheiten Wind und Wasser bzw. Untergrund (verboten). Die Einwirkung auf das Gerät hat (nur) mittelbare Wirkung auf den Vortrieb, indem die Nutzung der Naturkräfte Wind und Wasser beeinflusst wird.

Auf den diffusen Natur-Begriff haben die Urheber der neuen IWB nun verzichtet. Das ist sicher gut so; denn über natürlich oder unnatürlich kann man trefflich streiten. Nun also ist definiert, was (Regatta-) Segeln nach Meinung unseres Weltverbandes bedeutet.

Die oben wiedergegebene Definition ist ja überhaupt nicht schlecht, wenn man sie ganz einfach wörtlich nimmt. Der Haken liegt in der Regel 54. Hier ist (in 54.1) eine eingeschränkte Bedeutung von "Segeln" eingeschmuggelt worden, die das ganze Bemühen um Stimmigkeit - zumindest in diesem (wichtigen) Punkt - zunichte macht. Jedenfalls habe ich den Eindruck gewonnen, dass der Bedeutungsinhalt des Begriffs "Segeln" in Regel 54.1 ein anderer ist als der in der Begriffsbestimmung / Definition zu Beginn der IWB.

In Regel 54.1 sind "sonstige Körperbewegungen" der Besatzung als Vortriebsmittel verboten. Sonstige - also im Unterschied zu den Körperbewegungen, die für "Segeln" erforderlich sind?! Soweit damit das oben erwähnte Paddeln gemeint wäre - einverstanden. Aber es sind hier - das zeigt Regel 54.2 - auch Körperbewegungen gemeint, die m.E. sinnvolle Einwirkungen auf das Gerät (Segel und Rumpf) darstellen mit dem Ziel, die Einwirkung von Wind und Wasser auf Segel und Rumpf (zum eigenen Vorteil) zu beeinflussen (vgl. die Definition von "Segeln"!).

In Regel 54.2 werden fünf besondere verbotene Handlungen aufgezählt, durch die die Bootsgeschwindigkeit beeinflusst werden kann; diese Aufzählung wird als Teilaspekt des allgemeineren Verbots in Regel 54.1 bezeichnet. Hier sind die fünf am weitesten verbreiteten "Sünden" von RegattaseglerInnen erfasst, die insbesondere beim Jollensegeln erheblichen Einfluss auf die Regulierung (Steigerung) der Bootsgeschwindigkeit haben können.

Die Problematik wird besonders deutlich bei Regel 54.3(a). Das Rollen bei Wenden oder Halsen wird erlaubt, aber es darf nicht zu einer Geschwindigkeitssteigerung führen (!), und der Mast darf bei solchen Manövern nur einmal von der Senkrechten wegbewegt (engl. "move her mast away from the vertical") werden.

Wenn man eine perfekte Rollwende ausführt, kann man die Geschwindigkeit - insbesondere bei leichtem Wind - erheblich erhöhen, ja, dies ist sogar nur mit Anstrengung und besonderer Aufmerksamkeit zu vermeiden. Wenn bei Zwei-Personen-Jollen nach einer Wende oder Halse die Besatzung ihre Position im Boot neu einnimmt, ist es auch kaum zu vermeiden, dass der Mast noch ein- oder zweimal von der Senkrechten abweicht, wenn auch möglicherweise nur wenig.

Sollen da also Konkurrenz und Jury Mastbewegungen zählen und wägen sowie einschätzen, ob durch diese Manöver die Yacht in eine bessere Position gekommen ist, als sie es ohne gewesen wäre?! Wenn man es streng nimmt, soll und wird es so sein. Und wer wollte/müsste nicht die IWB ernst (und streng) nehmen? Aber: Wer wirft den ersten Stein?

Statt früher dreimal, darf man jetzt nur noch einmal pumpen, um Wellenreiten oder Gleiten einzuleiten. Und der Griff zur Schot ist peinlich genau vorgeschrieben (Regel 54.3(b)). Diese meines Erachtens unsinnigen Einschränkungen können allerdings durch Klassenvorschriften geändert werden (Regel 54.3(c)). Von dieser kleinen Möglichkeit sollten wir in der 505-Klassenvereinigung schnellstmöglich Gebrauch machen!

Ich nehme mal an, dass die meisten SeglerInnen zunächst sogar bereit wären, sich an diese Regeln zu halten, aber eben nicht alle. Welche Beweismittel habe ich als korrekter Segler gegenüber der nicht korrekt segelnden Konkurrenz? Doch nur zufälligerweise zuschauende Jury-Mitglieder oder die Aussagebereitschaft anderer (korrekt segelnder) KonkurrentInnen. Und wenn die gerade nicht gesehen haben, was ich gesehen habe? Wäre ja auch kein Wunder in der Hektik der Regatta!

Höchstwahrscheinlich lässt sich dieses Verbot von Regel 54 nur in seltenen, ungerecht verteilten Fällen von der Seite der Jury gegen eine WettseglerIn, aber als Protestgrund unter Konkurrenten nicht oder nur höchst selten durchsetzen. Dies widerspricht dem ehrenwerten Prinzip, das sonst den IWB zugrundeliegt: dass die Einhaltung der Regeln vor allem durch die misstrauisch aufmerksamen KonkurrentInnen gesichert wird, notfalls mit dem Mittel des Protests. Damit stellt sich mir aber die Frage, ob es sinnvoll ist, ein nur zufällig bzw. gar nicht durchsetzbares Verbot auszusprechen. Aus der Psychologie, Pädagogik, weitgehend wohl auch der Juristerei werden die Fachleute davon abraten.

Aber diese Überlegung ist für mich nur zweitrangig.

Erstrangig ist die Überlegung, dass ich durch die neue Regel 54 der IWB zu einem bestimmten, eingeschränkten Bewegungsverhalten an Bord gezwungen werde, zu "Stil-Segeln". Es hat früher auch Wettbewerbe im Stil-Rudern gegeben. Sie stellten den verzweifelten Versuch dar, ein bestimmtes ästhetisches Ideal vom Rudern (mit geradem Oberkörper) gegen das spät genug von Fairbairn "erfundene", wirkungsvollere Rudern mit gekrümmtem Oberkörper zu verteidigen. Die (Sport-) Geschichte hat über diesen Versuch ihr Urteil gesprochen. So wird es auch mit dieser Vortriebs-Regel im Segelsport gehen, früher oder später. Ich bin für früher.

Ich habe oben die "amtliche" Definition von "Segeln" wiedergegeben und stimme ihr grundsätzlich zu, wenn sie offen interpretiert werden darf. Meine Vorstellung von (Regatta-) Segeln ist so, dass die in Regel 54.2 aufgeführten verbotenen Handlungen überhaupt nicht verboten sein sollten. Ich will nach dieser scharfen Kritik nicht kneifen, sondern meine Vorstellung klar formulieren in dem Versuch einer Definition:

"Regatta-Segeln ist eine Tätigkeit, bei der auf dem Wasser versucht wird, durch Einwirken auf ein Gerät (Boot) die natürlich gegebenen Wind- und Wasserkräfte zur Regulierung der Geschwindigkeit zu nutzen, um (letztlich) schneller zu sein als andere. Die Beschaffenheit der Geräte und die Verfahren werden im Interesse der Vergleichbarkeit geregelt."

Die Regel 54 halte ich für weitgehend überflüssig, jedenfalls in den Ziffern 2 und 3. Auch hier will ich - in aller Vorläufigkeit - versuchen, einen Verbesserungsvorschlag zu formulieren: "Verboten sind Handlungen, die den Vortrieb des Bootes beeinflussen durch direktes Einwirken auf Luft, Wasser oder Untergrund."

Ich rufe alle SeglerInnen auf, sich an der Diskussion über dieses Problem öffentlich zu beteiligen, damit wir im Deutschen Segler-Verband und letztlich in der IYRU eine Mehrheit dafür gewinnen, die Vorstellung von Wettsegeln und letztlich diese unselige Regel 54 gründlich zu ändern.

Da dies meines Wissens nach den Regeln der IYRU aber erst wieder in knapp vier Jahren wirksam werden kann (gibt es nicht doch noch eine schnellere Lösung?), sollten in der Zwischenzeit die Klassenvereinigungen alles tun, um entsprechend Regel 54.3(c) die Bestimmungen von Regel 54.3(b) wenigstens auf den alten Stand zu bringen. Und wir RegattaseglerInnen können nur hoffen, dass Praktiker bzw. Pragmatiker in den Juries sitzen, wenn es denn doch einmal zu Protesten deswegen kommen sollte.

Ich kann nicht verstehen, wie ein Sport-Verband sich Regeln geben kann, in denen sportliche Aktivitäten ohne Not eingeschränkt werden. Wie können wir Regattasegeln noch guten Gewissens einen (athletischen) Sport nennen, wenn wir durch die IWB dazu angehalten werden, auf körperliche Aktivitäten in und mit unseren Booten zu verzichten, die unsere Boote schneller machen könnten?!

Ich möchte als Regattasegler jedenfalls nicht auf eine bestimmte Art und Weise segeln, wie es die IWB vorschreiben, sondern so, dass ich letztlich schneller bin als die Konkurrenz (die natürlich gleiche Rechte und Chancen hat wie ich). Wenn mich Schaukeln schneller voranbringt, warum sollte ich es nicht tun (sofern ich nicht andere dadurch direkt behindere, aber dafür gibt es ja klare Regeln)? Bei flauen Winden zum Stillsitzen verdammt sein, nicht den Achterholer von Fock oder Spinnacker oder die Großschot direkt regulieren dürfen, im Trapez auf der Welle nicht kurz nach vorn wandern dürfen, um das Boot ins Wellenreiten zu kippen, usw. usf. - kurz: Stil-Segeln? - Nein, danke!

Prof. Dr. Claus Tiedemann
505 - Segler (meist Vorschoter)
Disziplinchef Segeln im Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband
Universitäts-Professor für Sportwissenschaft in Hamburg

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